Nach Simon Carrington 2013 und Gary Graden 2015 hatte der Gürzenich-Chor mit Frieder Bernius einen weiteren international renommierten Chorleiter für einen Workshop zu Gast. Anhand von romantischen a cappella-Werken von Mendelssohn Bartholdy, Schumann, Brahms, und Reger konnte der Chor an vier Tagen viele neue Anregungen und Impulse von dem erfahrenen Chorleiter mit nach Hause und in die weitere Probenarbeit mit seinem Chorleiter Christian Jeub nehmen.
Während der Anfang des Workshops am Mittwoch Abend für die meisten Sängerinnen und Sänger nach einem regulären Arbeitstag erst einmal eine mentale Umstellung und durchaus anstrengende Konzentrationsübung bedeutete, gewann der Chorklang im Laufe der folgenden drei Tage immer mehr an Homogenität. Nach der guten Vorbereitung durch Christian Jeub waren die Notentexte zwar schon gut studiert, aber bis daraus stimmige und stimmungsvolle Werke der Romantik wurden, gab es noch allerhand zu tun. Für Frieder Bernius war daher klar: „Ich bin Profi, da fängt der Spaß erst an, wenn es klappt“.
Und bis es klappte, standen im Wesentlichen zwei Arbeitsschwerpunkte im Focus, an denen Bernius mit dem Gürzenich-Chor intensiv arbeitete: Zum einen die Intonation, die bei unbegleiteter „a cappella“-Chormusik oft schwierig ist, weil die instrumentale Stütze entfällt. Zum andern die Vokalfärbung, die einen wesentlichen Einfluss sowohl auf die Intonation als auch auf die Homogenität des Chorklanges hat.
Und so begann Bernius, die Akkorde auseinander zu nehmen, bis die Intonation in den Stimmgruppen stimmte und die Chormitglieder merkten, wo sie noch nachbessern müssen. Eine „Hörschule“ war das ebenso wie eine Singschule. „Hören Sie mal zu, ob die Kolleg(inn)en alle dasselbe singen“, war die Anregung, die eigentlich selbstverständlich sein sollte, im Probenalltag allerdings manchmal in Vergessenheit gerät. Das Wort heißt „wieder“, nicht „wida“… Frieder Bernius machte vor, wie es besser geht. Aber: „Wir wollen Musik machen, nicht Texte üben“, lautete der Appell an die Sänger. Der Weg gehörte hier durchaus wesentlich zum Ziel dazu, denn das Abschlusskonzert am Samstag war zwar das offizielle Ziel und Ende, aber die Entwicklung bis dahin das eigentlich Wesentliche des Workshops.
So ging es auch in den Proben immer wieder um Details: In der „Frühlingsahnung“ von Mendelssohn will der Sopran z. B. mal richtig zeigen, was er kann. Das aber ist dem Meister zu viel des Guten. Duftig, zart soll es sein, eben nur eine Ahnung, keine Gewissheit. Das ist nicht nur beim romantischen Repertoire die höhere Chorkunst, die der Leiter u. a. des renommierten Stuttgarter Kammerchores zweifellos beherrscht und mit seinen Profisängern in zahlreichen Aufnahmen und Konzerten vielfältig demonstriert hat. Sein Wissen und die jahrelange Erfahrung gibt er nun mit vielen Anregungen auch an die Sängerinnen und Sänger des Gürzenich-Chores weiter. Die müssen sich aber erst einmal darauf einstellen, denn auch für sie ist es eine große Umstellung, unter einem anderen Dirigenten zu proben.
Ganz besonderes Augen- bzw. Ohrenmerk legte Frieder Bernius auf die Vokalfärbung. Immer wieder korrigierte er den Chor oder einzelne Stimmen und lenkte die Aufmerksamkeit dabei auf die richtige Aussprache: Ein offenes „e“ ist ein anderer Vokal als ein geschlossenes „e“, wie auch in den beiden Wörtern „seliges Genügen“, wie sie z. B. in der „Waldesnacht“ von Johannes Brahms vorkommen. Viermal steht dort der gleiche Buchstabe, und dreimal muss er anders klingen. Eine solche Arbeit am Detail ist anstrengend, zeigt aber schnell Wirkung: oft schon nach einer Anmerkung oder korrigierten Wiederholung klingt die entsprechende Stelle ganz anders, und meistens deutlich besser.
Nach vier Tagen war dann am Ende des Workshops während des Konzertes in der Trinitatiskirche auch deutlich zu hören, dass sich die gemeinsame Arbeit gelohnt hat. Das Publikum dankte es mit stehenden Ovationen, und wir danken Frieder Bernius für seine Arbeit und Inspiration!